LG Dortmund: Urteil vom 13.12.2017 – Az. 8 O 16/17 Kart. – Pflicht zur Belieferung des Vertriebspartners nach Kündigung eines Vertriebsvertrages

I. Sachverhalt (vereinfacht)

1. Die Klägerin betreibt in Nordrhein-Westfalen großflächige Vollsortiments-Einrichtungswarenhäuser mit einem vollständigen Warensortiment. Hierzu gehört an sämtlichen Standorten auch eine große Abteilung für Betten, Bettwaren und Matratzen. Mit ihren Tochtergesellschaften verfügte die Klägerin über einen Konzernumsatz von ca. 340 Millionen Euro im Jahr 2016.

2. Die Beklagte bietet sog. viskoelastische Matratzen für Betten an. Die Besonderheit dieser Matratzen ist die Tatsache, dass die Matratze der Körperform nachgibt, bei Entlastung aber immer wieder elastisch in ihre Ausgangsform zurückkehrt.

Die Beklagte verfügt nach einer Marktbefragung (Stiftung Warentest) mit den Produkten der Marke „U“ über einen Marktanteil von 6,3 % bezogen auf den Gesamtmarkt der Matratzen. In Bezug auf den Marktanteil bei Produkten aus viskoelastischem Schaum entspricht dies einem Marktanteil von ca. 70 bis 80 %. Dabei bietet die Beklagte eine Gesamtzusammensetzung bestehend aus Matratzen, Systemrahmen, Betten, Kissen und Accessoires an.

3. Die Klägerin war seit Jahren Bestandteil des Vertriebsnetzes der Beklagten. In der Zusammenarbeit zwischen den Parteien wurden durch die Klägerin Umsätze mit den Produkten der Beklagten in der Größenordnung zwischen 650.000,00 EUR und rund 1 Millionen Euro erwirtschaftet. Trotz dieser Umsätze wurde die Geschäftsbeziehung zwischen den Parteien durch die Beklagte zum Ende des Jahres 2015 gekündigt. Seit Januar 2016 wird die Klägerin durch die Beklagte nicht mehr beliefert.

4 Die Klägerin begehrt vor dem LG Dortmund, dass es der Beklagten untersagt werde, die Belieferung mit den Produkten der Beklagten an die Klägerin zu üblichen Konditionen zu verweigern und darüber hinaus die Feststellung einer Schadensersatzverpflichtung der Beklagten.

a) Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Beklagte als marktbeherrschendes Unternehmen nach § 19 GWB verpflichtet sei, die Klägerin zu beliefern. Die Beklagte sei auf dem Markt für viskoelastische Matratzen marktbeherrschend in der Bundesrepublik Deutschland. Die viskoelastischen Matratzen würden einen eigenständigen Markt darstellen, die insbesondere durch großflächige Einrichtungswarenhäuser vertrieben würden. In diesem Marktsegment gebe es kein Produkt, das über eine Marktstellung verfüge wie das Produkt der Marke „U“. Viskoelastische Matratzen seien im Bereich des Matratzenhandels ein eigenständiges Marktsegment.

Die Klägerin werde in ihrer geschäftlichen Tätigkeit unbillig behindert, da ihr ohne sachlich gerechtfertigten Grund der Bezug der Waren der Marke „U“ verwehrt werde.

b) Darüber könne sie einen Belieferungsanspruch gegen die Beklagte auch aus § 20 GWB herleiten. Denn es bestehe auch eine sortimentsbedingte Abhängigkeit im Sinne des § 20 GWB. Die Klägerin gehöre zur Gruppe der kleinen und mittleren Unternehmen, obwohl ihr Konzernumsatz bei etwas über 300 Millionen Euro liege. In der Vergleichsgruppe sei sie lediglich als mittleres Unternehmen wahrzunehmen.

II. Entscheidungsgründe

Das Landgericht Dortmund hat die Klage umfassend abgewiesen.

Der Klägerin stünden die Ansprüche gegen die Beklagte nicht zu, da die Beklagte weder durch die ausgesprochene ordentliche Kündigung des Händlervertrages noch in sonstiger Weise gegen Kartellrecht oder gegen Lauterkeitsrecht verstoßen habe.

1. Ein Anspruch nach § 19 GWB bestehe nicht.

Es fehle bereits an einer marktbeherrschenden Stellung der Beklagten auf einem sachlich relevanten Markt, § 18 Abs. 1 GWB.

Ein Markt allein für viskoelastische Matratzen sei nämlich nicht erkennbar. Vielmehr sei von einem einheitlichen Markt für Matratzen auszugehen, unabhängig davon, aus welchem Material diese bestünden. Auf einen solchen habe die Beklagte selbst nach Aussage der Klägerin ohnehin einen Marktanteil von unter 7 %. Auszugehen sei insoweit vom Bedarfsmarktkonzept, d. h. aus Sicht der Nachfrageseite. Entscheidend sei dabei, ob die jeweiligen Waren aus Sicht der Nachfrager, also der Marktgegenseite, austauschbar seien (vgl. Bechtold/Bosch, § 18 GWB, Rn. 5 m.w.N.). Der grundsätzliche Verwendungszweck einer Matratze, nämlich die Abpolsterung einer Schlafstätte, wird letztlich durch jedwede Matratze in gleicher Weise erfüllt. Dies zeigten auch die erheblichen Umsatzrückgänge bei der Beklagten. Wären nämlich bei bestimmten Rückenleiden die Matratzen der Beklagten das Mittel der Wahl und somit nicht durch andere Arten von Matratzen substituierbar, so wäre es nicht zu den Umsatzrückgängen der Beklagten gekommen. Da der Verbraucher aber – wie die Umsatzrückgänge der Beklagten belegten – auf andere Matratzen zurückgreife, zeige sich deutlich, dass unter dem Gesichtspunkt des Bedarfsmarktkonzepts eine Substituierbarkeit vorliege und die von der Klägerin gezogene Marktabgrenzung deutlich zu eng sei. Die vorgelegten Marktanalysen und die Vorgehensweise der Stiftung Warentest, nicht von einem eigenständigen Markt für viskoelastischer Matratzen, sondern von einem Gesamtmarkt für Matratzen auszugehen, belegten dies ebenfalls .

2. Auch ein Anspruch wegen sortimentstypischer Abhängigkeit gemäß § 20 GWB bestehe nicht.

a) Die Klägerin sei bereits kein kleines oder mittleres Unternehmen im Sinne des § 20 Abs. 1 GWB. Als solche gelten nach Auffassung der Europäischen Kommission nur solche Unternehmen, die maximal 250 Personen beschäftigen sowie einen Jahresumsatz von höchstens 50 Millionen Euro bzw. eine Jahresbilanzsumme von höchstens 43 Millionen Euro aufweisen (Artikel 2 Abs. 1 der Empfehlung der Kommission vom 06.05.2003).

Die Klägerin erfülle die Voraussetzungen nicht, da sie in einer anderen Größenordnung zu verorten sei. Sie habe im Jahre 2016 über einen Konzernumsatz von rund 340 Millionen Euro und gleichzeitig über weit mehr als 1.000 Mitarbeiter verfügt.

b) Zudem sei auch nicht erkennbar, dass die Klägerin in einem sortimentsbedingten oder anderweitigen Abhängigkeitsverhältnis zur Beklagten stehe.

Für eine solche sortimentsbedingte Abhängigkeit sei erforderlich, dass das Nichtvorhandensein der hier in Rede stehenden Produkte der Beklagten im Sortiment der Klägerin zur Beeinträchtigung der Wettbewerbsfähigkeit der Klägerin führen würde (vgl. BGH NJW 1976, 801, 803). Die Darlegung dieses Umstandes ist der Klägerin nicht gelungen, zumal die von ihr vorgenommene Verengung der relevanten Vergleichsgruppe durch das Gericht nicht geteilt wird.

c) Demnach fehle es bereits an den grundlegenden Voraussetzungen der §§ 19 und 20 GWB, wodurch es im Übrigen auf das durch die Klägerin behauptete missbräuchliche Verhalten der Beklagten durch die grundlose Kündigung des Vertriebsvertrages nicht ankomme.

III. Fazit

Die Durchsetzung von Belieferungsansprüchen im Vertriebsrecht ist an sehr hohe Hürden gebunden.

Soweit ein Vertriebsvertrag sein ordentliches Ende gefunden hat, versuchen frühere Vertriebsmittler (Vertragshändler, Franchisenehmer) aus kartellrechtlichen Gründen einen weiteren Belieferungsanspruch herzuleiten. Soweit keine marktbeherrschende Stellung des Vertriebsunternehmens vorliegt oder soweit der Vertrieb über ein selektives Vertriebssystem mit einer bestimmten Anzahl von Vertriebspartnern oder mit nach bestimmten Qualitätskriterien ausgewählten Vertriebspartnern durchgeführt wird, scheidet auch in kartellrechtlicher Hinsicht regelmäßig ein Belieferungsanspruch aus

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