OLG München, Urteil vom 31.07.2019, Az. 7 U 4012/17 – Datenschutz steht Auskunftsverpflichtung in Vertriebsverträgen im Regelfall nicht entgegen (hier: bei Erteilung eines Buchauszuges)

I. Sachverhalt (vereinfacht)

Die Parteien streiten um einen Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Erteilung eines Buchauszugs.

  1. Der Kläger war für die Beklage seit April 2008 als selbständiger (Unter-)Handels- und (Unter-) Versicherungsvertreter tätig.

Das Handels- und Versicherungsvertreterverhältnis des Klägers endete unter zwischen den Parteien streitigen Umständen zu einem ebenfalls streitigen Zeitpunkt im Jahr 2015. Der Kläger begehrte die Erteilung eines Buchauszuges, den ihm das Landgericht durch Urteil zusprach. Mit der Berufung verfolgte die Beklage insoweit die Klageabweisung, da sie den Anspruch auf Buchauszug erfüllt habe. Im Übrigen führte sie ergänzend aus, dass die Datenschutzgrundverordnung einer Buchauszugserteilung entgegenstehe.

II. Entscheidungsgründe

Nach Auffassung des OLG München hat das Landgericht zu Recht angenommen, dass der Kläger einen Anspruch gegen die Beklagte aus §§ 92 Abs. 2, 87c Abs. 2 HGB auf Erteilung eines Buchauszuges habe.

  1. Die Beklagte könne dem Buchauszugsanspruch des Klägers nicht entgegenhalten, die Datenschutzgrundverordnung verbiete eine Buchauszugserteilung ohne die Darlegung der Erforderlichkeit der Mitteilung jedes einzelnen Datums durch den Kläger.

Zwar sei die DSGVO nach ihrem Geltungsbeginn am 25.05.2018 (Art. 99 Abs. 2 DSGVO) auf alle im Laufe des Berufungsverfahrens erteilten Buchauszüge und auch auf alle nach § 87 c Abs. 2 HGB zukünftig noch vorzunehmenden Datenverarbeitungen anwendbar (vgl. Pauly in Paal/Pauly, DS-GVO BDSG, 2. Auflage, München 2018, Rdnr. 4 zu Art. 99 DSGVO); jedoch sei die mit der Erteilung eines Buchauszuges verbundene Datenübermittlung erlaubt. Vorliegend seien zwar keine Erlaubnistatbestände nach Art. 6 Abs. 1 lit. a – e) DSGVO gegeben, jedoch gestatte Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f DSGVO (Wahrung berechtigter Interessen mit Abwägung der Interessen aller Beteiligter) die Übermittlung des Buchauszugs mit allen von § 87 c Abs. 2 HGB geforderten Angaben an den Kläger.

  1. a) Die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. b DSGVO seien nicht erfüllt, da die Übermittlung des Buchauszugs, die gemäß Art. 4 Nr. 2 DSGVO eine Datenverarbeitung darstelle, nicht zur Erfüllung eines Vertrages erforderlich sei, dessen Vertragspartei die betroffene Person ist. Von der Datenverarbeitung betroffene Person im Sinne dieser Vorschrift sei nämlich jeder Kunde des Versicherungs- bzw. Finanzdienstleistungsvertrages, den der Kläger vermittelt habe, da sich die im Rahmen des Buchauszugs zu übermittelnden Daten auf die Kunden bezögen. Die Kunden seien aber nicht Partei des Vertretervertrages zwischen dem Kläger und der Beklagten, zu dessen Erfüllung die Erteilung des Buchauszugs nach 87 c Abs. 2 HGB erfolge.

Zur Erfüllung der von den Kunden abgeschlossenen Versicherungs- bzw. Finanzdienstleistungsverträgen sei die Erteilung des Buchauszugs dagegen nicht erforderlich und erfolgt sie auch nicht.

  1. b) Auch Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. c DSGVO erlaube die Buchauszugserteilung nicht. Denn unabhängig von der Frage, ob es sich bei der Verpflichtung des Prinzipals zur Buchauszugserteilung nach 87 c Abs. 2 HGB um eine „rechtliche Verpflichtung“ iSd. Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit c. DSGVO handele, fehle es jedenfalls an einem „öffentlichen Interesse“, das gemäß Art. 6 Abs. 3 S. 4 DSGVO mit der Buchauszugserteilung verfolgt werden müsse. Denn die Buchauszugserteilung erfolge ausschließlich zur Realisierung des Vergütungsinteresses des Versicherungs- bzw. Handelsvertreters und damit eines rein individuell-privaten Interesses, das aber von Art. 6 Abs. 3 S. 4 DSGVO gerade nicht umfasst werde (vgl. Reimer in Sydow, Europäische Datenschutzgrundverordnung, 2. Auflage, München 2018, Rdnr. 39 zu Art. 6 DSGVO).
  2. c) Die Erteilung des Buchauszugs an den Kläger ist jedoch nach Ansicht des OLG München durch den Erlaubnistatbestand des Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f DSGVO gedeckt, der die Übermittlung u.a. dann gestattet, wenn sie zur Wahrung der berechtigten Interessen eines Dritten erforderlich ist, sofern nicht die dagegenstehenden Interessen oder Grundrechte der betroffenen Person überwiegen.
  3. aa) Bei der Buchauszugserteilung stehe ausschließlich das Vergütungsinteresse des Versicherungs- bzw. Handelsvertreters in Rede. Dabei handele es sich um ein berechtigtes Interesse eines Dritten iSd. Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f DSGVO, da es aus einer von der Rechtsordnung erlaubten unternehmerischen Tätigkeit des Vertreters folge und die unternehmerische Freiheit, die notwendigerweise das Recht zur Gewinnerzielung umfasst, ausdrücklich durch Art. 16 EUGRCh anerkannt und geschützt sei (vgl. Reimer, aaO, Rdnr. 55 zu Art. 6 DSGVO).

Darüber hinaus gestehe die europäische Rechtsordnung in Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie des Rates vom 18.12.1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter (86/653/EWG) dem Warenhandelsvertreter (Art. 1 Abs. 2) auch ausdrücklich einen Anspruch gegen den Unternehmer auf Erteilung eines Auszugs aus den Büchern des Unternehmers zur Nachprüfung seines Provisionsanspruchs zu, sodass sich daraus ableiten lasse, dass das Interesse des Handelsvertreters an der Erteilung eines Buchauszugs ein europarechtlich geschütztes und damit berechtigtes iSd. Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f DSGVO sei. Dabei verkenne der Senat auch nicht, dass sich die Handelsvertreterrichtlinie gemäß ihrem Art. 1 Abs. 2 nur auf Warenhandelsvertreter beziehe. Dies ändere jedoch nichts daran, dass aufgrund der gleichlaufenden Interessenlage der Beteiligten das Interesse eines sonstigen Handelsvertreters und/oder eines Versicherungsvertreters an der Erteilung eines Buchauszuges nicht weniger schützenswert sei

  1. bb) Die Erteilung des Buchauszugs nach 87 c Abs. 2 HGB sei zur Verwirklichung des Provisionsanspruchs des Versicherungs- bzw. Handelsvertreters und damit zur Realisierung dessen Vergütungsinteresses auch erforderlich-

Erst durch die Erteilung des Buchauszugs sei der Vertreter in der Lage zu überprüfen, ob die ihm vom Prinzipal erteilten Abrechnungen richtig und vollständig seien oder ob ihm noch ein darüber hinaus gehender Provisionsanspruch nach § 87 a HGB zustehe..

  1. cc) Der Senat geht weiter davon aus, dass bei der Übermittlung eines Buchauszugs nach 87 c Abs. 2 HGB das Vergütungsinteresse des Vertreters ein etwaiges gegenläufiges Interesse des Kunden des Prinzipals überwiege

Zwar könnten die in dem Buchauszug dem Vertreter vom Prinzipal übermittelten Daten der betroffenen Personen höchst sensibel sei, wie z. B. bei der Bezeichnung der Gründe für die Stornierung eines Versicherungsvertrages (z.B. Zahlungsunfähigkeit des Versicherungsnehmers wegen krankheitsbedingter Erwerbsunfähigkeit). Jedoch diene der Buchauszug der Verfolgung des Provisionsanspruchs des Vertreters aus § 87 a Abs. 1 HGB, dessen Realisierung ohne den Buchauszug zumindest erheblich erschwert, wenn nicht gar unmöglich sei  sodass der Vertreter als Dritter ein sogar wirtschaftlich existentielles Interesse an der Datenübermittlung habe.

  1. dd) Bei der Gewichtung und Abwägung dieser gegenläufigen Interessen sei zunächst von den in der DSGVO selbst aufgeführten Erwägungsgründen auszugehen.

Heranzuziehen sei daher der einschlägige Erwägungsgrund 47, der auf die zwischen dem Verantwortlichen und der betroffenen Person bestehende Beziehung (z.B. eine Kundenbeziehung) sowie auf die Erwartbarkeit der Datenverarbeitung für die betroffene Person abstelle (vgl. Albers/Veit in BeckOK, Datenschutzrecht, 28. Edition, Stand 01.05.2018, Rdnr. 53 zu Art. 6 DSGVO und Heberlein in Ehmann/Selmayr, Datenschutz-Grundverordnung, 2. Auflage, München 2018, Rdnr. 28 zu Art. 6 DSGVO).

  1. ee) In der streitgegenständlichen Konstellation komme zwischen dem Kunden als betroffener Person und dem Verantwortlichen eine Beziehung aufgrund der Vermittlungstätigkeit des Vertreters zustande. Für den Kunden sei damit absehbar, dass seine Daten auch an den Vertreter übermittelt werden müssten. Denn auch dem geschäftsunerfahrenen Kunden müsse nach der allgemeinen Lebenserfahrung klar sein, dass, wenn der Geschäftsabschluss mit dem Prinzipal über einen Versicherungs- bzw. Handelsvertreter erfolge, letzterer Provision erhalte und deren Abrechnung einen Datenaustausch zwischen dem Vertreter und Prinzipal voraussetze.

Für ein Überwiegen der Interessen des Vertreters spreche ferner der Zweck der Datenübermittlung, nämlich die Möglichkeiten, den Handelsvertreter in die Lage zu versetzen, seinen Rechtsanspruch auf Zahlung von Provision zu verwirklichen. Auch die DSGVO messe dem Zweck der Verfolgung von Rechtsansprüchen allgemein ein hohes Gewicht bei, wie z. B. Art. 21 Abs. 1 S. 2 DSGVO zeige. Hier sei nämlich das ansonsten gegebene Widerspruchsrecht einer betroffenen Person gegen die Verarbeitung sie betreffender personenbezogener Daten durch den Verantwortlichen ausgeschlossen, wenn die Verarbeitung der Geltendmachung von Rechtsansprüchen des Verantwortlichen diene.

  1. ff) Schließlich sei bei der Interessenabwägung die in Art. 12 Abs. 2 der Handelsvertreterrichtlinie enthaltene grundsätzliche Entscheidung des europäischen Gesetzgebers zu berücksichtigen, dem (Waren-)Handelsvertreter nicht nur einen allgemeinen Auskunftsanspruch, sondern ausdrücklich einen Anspruch auf einen Buchauszug einzuräumen.
  2. Nach alledem ist die Erteilung eines Buchauszugs nach § 87 c Abs. 2 HGBnach Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f DSGVO auch mit Angaben zu Kundendaten zulässig.

III. Fazit

  1. Die Entscheidung des OLG München betrifft eine gegenwärtig klassische Situation bei der Auskunftserteilung am Ende der Laufzeit von Vertriebsverträgen. Die Übermittlung genauer Daten zu Kunden und weiteren Einzelheiten werden datenschutzrechtliche Einwendungen des Auskunftspflichtigen entgegengehalten.
  2. Das OLG München sieht diese datenschutzrechtlichen Einwendungen nicht als erheblich an.

Die Übermittlung eines Buchauszugs i. S. d. § 87c Abs. 2 HGB  sei zwar eine Verarbeitung i. S. d. Art. 4 Nr. 2 DSGVO und müsse deshalb die Voraussetzungen eines der Erlaubnistatbestände des Art. 6 DSGVO erfüllen. Im Handelsvertreterrecht sei jedoch der Erlaubnistatbestand nach Art. 6 Abs. 1 S. 1f DSGVO gegeben, da die Realisierung von Provisionsansprüchen etwaige gegenläufige Interessen der Kunden, also der von der Datenübermittlung betroffenen Personen, überwiege.

  1. Ob die Entscheidung des OLG München auch auf andere Vertriebsverträge, wie z. B. Franchise- oder Lizenzverträge zu übertragen ist, bleibt abzuwarten. #

Nach unserer Einschätzung sprechen gerade im Franchiserecht diese besseren Argumente für eine entsprechende Anwendung der Entscheidung des OLG München.

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