LG Nürnberg-Fürth: Beschluss vom 27.11.2018, Az. 2 HK O10103/12 – Ausgleichsanspruch des Vertriebsmittlers analog § 89b HGB bei jeglicher Art von Vorteilen für das Vertriebsunternehmen

I. Sachverhalt

In einem Hinweisbeschluss hat das LG Nürnberg-Fürth zu der Frage der analogen Anwendbarkeit von § 89b HGB im Vertriebsrecht Stellung bezogen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (zuletzt: BGH, Urteil vom 25.02.2016, VII ZR 102/15) findet die für den Handelsvertreter geltende Regelung des § 89b HGB auch für andere Vertriebsmittler, wenn (1) der Vertriebsmittler wie ein Handelsvertreter in die Absatzorganisation des Vertriebsunternehmens einbezogen ist, also nicht lediglich ein Verkäufer-Käuferverhältnis vorliegt, und (2) der Vertriebsmittler verpflichtet ist, dem Vertriebsunternehmen während oder bei Beendigung des Vertriebsvertrages den aufgebauten Kundenstamm zu übertragen.

Unklar ist weiterhin, unter welchen Umständen die Voraussetzung nach (2) als erfüllt anzusehen sind, ob z. B. eine vertragliche Verpflichtung dafür erforderlich oder der bloße, faktische Übergang des Kundenstammes ausreichend ist.

II. Entscheidungsgründe

Das LG Nürnberg-Fürth kommt in seinem Hinweisbeschluss zu dem Ergebnis, dass es für die Frage des Bestehens eines Ausgleichsanspruchs im Sinne einer Analogie einzig und allein maßgeblich sei, ob das Vertriebsunternehmen einen Unternehmensvorteil aus der Geschäftsbeziehung mit dem Vertragshändler gezogen habe.

Auch zumindest aufgrund der mittelbaren Wirkung der geltenden EU-Handelsvertreterrichtlinie für alle Vertriebspartner müsse für die Frage, ob über die gezahlten Provisionen hinaus ein Ausgleich geschuldet sei, allein maßgeblich sein, dass das Vertriebsunternehmen aus den Geschäftsbeziehungen mit Kunden, die der Vertriebshändler beigebracht hat, eine begründete Gewinnerwartung ziehen könne. Daran könne insbesondere dann nicht gezweifelt werden, wenn das Vertriebsunternehmen tatsächlich während des Vertriebsvertrages Zugriff auf die entsprechenden Kunden des Vertriebsmittlers mit Namen und Anschrift erhalte.

III. Fazit

1. Die entsprechende Anwendung von § 89b HGB auf Vertragshändler und Franchisenehmer war in der Vergangenheit in gerichtlichen Auseinandersetzungen oftmals äußerst umstritten.

Grund dafür war, dass der Bundesgerichtshof in früheren Entscheidungen eine vertragliche Pflicht zur Übertragung des Kundenstammes bei Ende des Vertriebsvertrages forderte. Darauf hatte die Kautelarpraxis reagiert und eine entsprechende Verpflichtung des Vertriebspartners bei Ende der Laufzeit in den Muster-Vertriebsverträgen beseitigt.

2. Infolgedessen verlagerte sich der Streit darauf, ob auch eine Übertragung von Kundendaten bereits während der Laufzeit des Vertriebsvertrages oder eine Verpflichtung des Vertriebsmittlers, bestimmte Kundenbindungssysteme oder elektronische Verwaltungssysteme zu nutzen, für eine Erfüllung des Tatbestandsmerkmals der Kundenübertragung ausreiche.

Das LG Nürnberg-Fürth möchte nunmehr grundsätzlich auf die Voraussetzung der Pflicht zur Übertragung des Kundenstamms verzichten. Maßgeblich sei nur noch, ob das Vertriebsunternehmen aus den Kundenbeziehungen des Vertriebspartners auch nach Ende des Vertriebsvertrages einen Vorteil ziehen.

3. Unerheblich ist an dieser Stelle, dass der Bundesgerichtshof bei Franchiseverträgen, die ein im Wesentlichen anonymes Massengeschäft betreffen und bei denen es nach Ende des Franchisevertrages zu einer bloß faktischen Kontinuität des Kundenstamms (also das tatsächliche Verbleiben des vom Franchisenehmer geworbenen Kundenstamms beim Franchisegeber) kommt, die Anwendung von § 89b HGB ablehnt (BGH, Urteil vom 05.02.2015, Az. VII ZR 109/13).

4. Die Stimmen in Rechtsprechung und Literatur, die ähnlich wie das LG Nürnberg-Fürth bereits bei Vorteilen des Vertriebsunternehmens aus Kundenbeziehungen des Vertriebspartners nach Beendigung Vertriebsvertrages einen Ausgleichsanspruch des Vertriebspartners bejahen wollen, mehren sich erheblich.

Franchisegeber und Franchisenehmer sollten sich darauf einstellen, dass bei Ende des Franchisevertrages der Ausgleichsanspruch dem Grunde nach auch im Franchiserecht zu bejahen ist, wenn der Vertrieb des Franchisenehmers während der Vertragslaufzeit an namentlich bekannte Kunden des Franchisenehmers erfolgt und der Franchisegeber auch nach Ende des Franchisevertrages Vorteile aus diesem Kundenstamm des bisherigen Franchisenehmers zieht. Auf eine im Franchisevertrag enthaltene Pflicht zur Übertragung der Kundendaten auf den Franchisegeber wird es nicht mehr ankommen.

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